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Der Einsatz von medizinischem Cannabis wird immer häufiger bei Ärzt*innen, Apotheker*innen und Patient*innen anerkannt und geschätzt. Aufgrund der derzeitigen Studienlage, den geringen Nebenwirkungen und dem möglichen, breitgefächerten Einsatzgebiet, erhält Cannabis eine stetig wachsende Anerkennung in der Medizin. In der heutigen Schmerztherapie wird medizinisches Cannabis erfolgreich bei akuten, chronischen und neuropathischen Schmerzen, wie beispielsweise bei einer Polyneuropathie, eingesetzt.
Was ist Polyneurpathie?
Polyneuropahtie ist griechisch und bedeutet übersetzt soviel wie "Erkrankung vieler peripherer Nerven". Diese Bezeichnung trifft es genau, denn wer unter Polyneuropathie leidet, leidet an einer Störung des peripheren Nervensystems. Schätzungsweise über 5 Millionen Deutsche erleiden diese schmerzbringenden Erkrankung, was sie mittlerweile zu einer Volkskrankheit macht.
Das periphere Nervensystem
Das periphere Nervensystem (PNS) beschreibt alle autonomen, motorischen und sensiblen Nerven im Körper, die nicht zum Gehirn oder zum Rückenmark, also dem zentralen Nervensystem, gehören. Es ist für die Weiterleitung von Informationen zwischen Organen, Muskeln und dem zentralen NS zuständig. Somit ist ein einwandfreie Funktion dieses Systems unerlässlich.
Ein Beispiel: die Ohren nehmen ein Gefahr-Signal (beispielsweise Hupen) über die Nerven des PNS auf und leiten dieses an das Gehirn weiter. Das Gehirn schickt Wiederrum ein Signal, ebenfalls über das PNS, an die Beine, dass sie laufen sollen, um der Gefahr aus dem Weg zu gehen oder dieser zu entkommen.
Bei einer Polyneuropathie sind die Nerven geschädigt und können die Signale nicht einwandfrei weiter leiten. Diese Störung hat verschiedene Ursachen und teilweise sehr schmerzhafte Auswirkungen.
Ursachen für eine Polyneuropathie
Eine Polyneuropathie kann angeboren sein, oder sich mit dem Alter entwickeln, was am Häufigsten der Fall ist. Jedoch sind derzeit über 200 verschiedene Auslöser dieser Krankheit bekannt, was die Linderung der damit verbundenen Schmerzen und Symptome erschwert. Neuropathische Schmerzen treten in unterschiedlicher Intensität und Häufigkeit bei den betroffenen Patient*innen auf.
Die Ursachen für eine Polyneuropathie sind unter anderem:
- Diabetes- die häufigste Ursache, etwa 30% aller bekannten Fälle
- Alkoholsucht
- Engstellen im Bereich der Lendenwirbelsäule (Spinalkanalstenose)
- Lebererkrankungen
- Mangelernährung
- Ansammlung von giftiges Substanzen im Körper, beispielsweise Schwermetalle
- schwere Nebenwirkungen von Medikamenten
- Infektionen: z.B. Borreliose, Syphilis, Varizella-Zoster-Viren, HIV
- Hormonelle Erkrankungen
- Autoimmunerkrankungen
- Erbkrankheiten
- Multiple Sklerose, Chemotherapie und HIV-Behandlungen können ebenfalls eine Neuropathie bzw. eine Polyneuropathie auslösen
Der Unterschied zu einer Neuropathie, auch Monopathie genannt, ist, dass nur einzelne Nerven beschädigt sind und bei einer Polyneuropathie zahlreiche Nerven.
Symptome und Auswirkungen
Wie bereits erwähnt, ist das Problem bei einer Polyneuropathie, dass durch die vielen unterschiedlichen Auslöser, auch verschiedene Nerven und Nervenstränge des PNS geschädigt sind und daher unterschiedliche Symptome in abweichender Intensität auftreten können. Häufig beginnen die ersten Anzeichen in den Beinen. Betroffene Patient*innen realisieren ein Taubheitsgefühl in den Fußsolen oder ein Kribbeln. Das kann sich so weit ausdehnen, dass Reflexe nicht mehr anständig funktionieren, die Muskeln schwinden und/oder das Gehen Unsicherheiten verursacht. Je nachdem, wie und wo die Störung sich ausbreitet und welche Nervenregionen die beschädigt, verursacht die Polyneuropathie Kreislaufstörungen, Errektionsstörungen, Berührungsreize, Temperaturreize, Muskellähmungen, Hörschäden, Hyperalgesie und mäßige bis sehr starke Schmerzen, in verschiedenen Körperregionen. Betroffene Patient*innen erleiden durch die schweren Symptomatiken mit der Zeit oft zusätzlich Schlafstörungen, Angstzuständen und Depressionen.
Die Behandlung
Bei einer Polyneuropathie, die durch Diabetes ausgelöst wurde, muss in erster Linie die Ernährung angepasst und der Blutzuckerspiegel, so gut wie möglich, auf einem optimalen Wert gehalten werden. Je nach Schwere der Erkrankung, erhalten die Patient*innen auch Physio- und Ergotherapien, um Fehlhaltungen vorzubeugen und Muskeln zu stärken.
Eine medikamentöse Behandlung bei Nervenschmerzen ist möglich, aber die Schmerzmittel helfen oft nur bedingt. Die Arzneimittel lindern zwar die Schmerzen, können sie aber nicht komplett Stillen und bringen meist schwerwiegende Nebenwirkungen mit sich, die die Betroffenen zusätzlich belasten. Zum Einsatz bei einer Polyneuropathie kommen Antikonvulsiva (ein Mittel, dass vor allem bei Epilepsie eingesetzt wird), (trizyklische) Antideprissiva, Opiate oder auch Lokalanästhesien.
Cannabis bei Polyneuropathie
Den menschlichen Körper durchzieht das Endocannabinoidsystem, wie eine Art Netz, dass unterschiedliche Rezeptoren (CB1 und CB2 Rezeptoren) beinhaltet, an die sich die Phytocannabinoide, die Cannabinoide, die von der Cannabispflanze selbst gebildet werden, andocken und verschiedene Vorgänge anregen.
Es gibt derzeit über 113 Phytocannabinoide. Die derzeit best erforschtesten und bekanntesten Cannabinoide sind Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). Cannabis beeinflusst, durch die Interaktion mit den auf die Signalsysteme basierenden Rezeptoren, unter anderem mehrere Arten von Schmerz, darunter auch die der Polyneuropathie. THC und CBD wirken in Kombination mit anderen Phytochemikalien, wie Beispielswiese Terpene, schmerzlindernd, schmerzstillend, entzündungshemmend, beruhigend, entkrampfend usw.
Die Wirkung von cannabisbasierter Medizin
Cannabis kann bei Neuropathien effektiv eingesetzt werden. Dies bestätigten bereits verschiedene Studien aus Deutschland, England und den USA. Vor allem der Einsatz des Mundsprays Sativex erwies sich als wirkungsvoll. Dieses Arzneimittel enthält sowohl Tetrahydrocannabinol, als auch Cannabidiol und wird von dem*r Patent*in mit einzelnen Sprühstößen auf die Mundschleimhaut gesprüht. Das Spray lindert Schmerzen und Krämpfe schnell und effektiv und es kann die Lebensqualität steigern, da es die Schlafqualität verbessert und stimmungsaufhellend wirkt. Der Schlüssel zu einer effektiven Behandlung von Neuropathien mit Cannabis ist die richtige Dosierung, die mit Sativex leicht umsetzbar ist, da ein Sprühstoß immer die selbe Menge an Wirkstoffen beinhaltet. Eine niedrige Dosis, dafür öfter eingenommen, wirkt erfolgreich schmerzstillend und bringt kaum Nebenwirkungen mit sich. [1]
Zwar wirkt der Einsatz von medizinischem Cannabis, laut den Studienergebnissen des Center for Medicinal Cannabis Research an der University of California nicht ganz so effektiv wie Trizyklika, aber dennoch effektiver als andere eingesetzte Medikamente wie Gabapentin (ein Medikament das bei Epilepsie und Neuropathien eingesetzt wird), krampflösende Mittel und Antidepressiva.
Schmerzen lindern mit Cannabis
Betroffene Patient*innen, die unter Polyneuropathie leiden und eine Behandlung mit medizinischem Cannabis in Betracht ziehen, sollten das offen mit dem*der behandelndem*r Arzt*Ärztin kommunizieren. Neben dem bewährten Mundspray gibt es noch weitere Fertigarzneien, wie beispielsweise Dronabinol, die bereits gute Ergebnisse bei der Behandlung von neuropathischen Schmerzen erzielen.Je nachdem, welche Art der Einnahme sich der*die Patient*in zutraut, können auch reine Cannabisblüten zur Schmerzlinderung durch einen Vaporisator inhaliert werden.
Die Möglichkeiten sind sehr breit gefächert, daher kann die Wahl des optimalen Mittels und der passenden Dosis eine zeitlang in Anspruch nehmen. Doch dieser Zeitaufwand lohnt sich, um auf herkömmliche starke Schmerzmittel (teilweise) verzichten zu können.
Quellen:
https://cannabibliothek.de/cannabis-als-medizin/,
[1] Michael Backes Cannabis als Medizin, Oktober 2021, 2 Auflage, Kopp Verlag
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